Chinesischer Balanceakt im Hinblick auf den Ukraine-Krieg

Chinesische Medien und Staatsbedienstete haben verdeutlicht, dass nicht Russland die Schuld an der militärischen Aggression gegen die Ukraine trägt, sondern der Westen und die NATO, die sich in den vergangenen 20 Jahren nach Osten ausgebreitet und dabei die „legitimen Sicherheitsbedenken“ Russlands ignoriert haben. Zugleich „respektiert China die territoriale Integrität und Souveränität aller Länder“. In den vergangenen Wochen haben die staatlich kontrollierten chinesischen Medien ihre Aufmerksamkeit auf die Ukraine gerichtet und eine Reihe von Narrativen verbreitet, um diese Punkte zu veranschaulichen.
China ist neutral – oder nicht?
Schon vor dem Einmarsch Russlands in die Ukraine positionierte sich China als neutraler Beobachter und unterstützte offiziell die stille Diplomatie und die Umsetzung der Vereinbarungen von Minsk, die den Krieg in der Ostukraine beenden sollten. Es ist wichtig, daran zu erinnern, dass China die russische Annexion der Krim nie anerkannt hat und es bisher auch keine öffentlichen Anzeichen dafür gegeben hat, dass das Land dies tun könnte.
Seitdem wird diese Neutralität und Chinas Rolle als Vermittler in dem Konflikt betont. Gleichzeitig ist der Diskurs über Frieden, humanitäre Hilfe und die Evakuierung der zivilen Bevölkerung – wie er in der „Sechs-Punkte-Initiative“ von Außenminister Wang Yi zum Ausdruck kommt – durchdrungen von der Kritik an der sogenannten Desinformation und den Sanktionen des Westens, denen sich, wie China behauptet, „gleichgesinnte Partner“ und die Entwicklungsländer widersetzen. Es geht nicht darum, was in der Ukraine vor sich geht, sondern darum, wie schlecht die USA (und der Westen) sind.
Einerseits bekundet China seine Unterstützung für die „Souveränität und territoriale Integrität aller Nationen“, andererseits erwähnt es nie öffentlich die Verletzung der territorialen Integrität der Ukraine durch Russland und widersetzt sich sogar ausdrücklich Aufrufen, Russland zu verurteilen. Stattdessen betonen die offiziellen chinesischen Kanäle immer wieder die „komplexen historischen Fragen“, die der Situation in der Ukraine zugrunde liegen, und weichen dem Vorwurf aus, widersprüchliche Aussagen zu treffen.
Und während Präsident Xi bereit ist, mit Chinas strategischem Partner Russland zu sprechen, hat er noch keine Zeit gefunden, mit der Ukraine zu reden, obwohl China bereits 2013 ein Abkommen über eine strategische Partnerschaft mit der Ukraine geschlossen hat. Bereits 1994 hatte die chinesische Regierung die Grundsätze des Budapester Memorandums offiziell gebilligt, das der Ukraine Sicherheitsgarantien gegeben und zusammen mit Russland, den USA, dem Vereinigten Königreich und Frankreich zugesagt hat, die Souveränität, die Unabhängigkeit und die bestehenden Grenzen der Ukraine zu respektieren, wenn diese im Gegenzug auf Atomwaffen verzichtet.
Da Gespräche über territoriale Integrität und Souveränität leicht mit Taiwan in Verbindung gebracht werden können, gab es eine Fülle von Erklärungen über Chinas unerschütterliche Position zu diesem Thema: Taiwan ist nicht die Ukraine, und die Insel wird von staatlich kontrollierten Medien und Staatsbediensteten beschuldigt, den Konflikt auszunutzen, um internationale Aufmerksamkeit zu erregen.
Diese erklärte Neutralität bedeutet jedoch nicht, dass China tatsächlich neutral ist, wenn es um die mögliche Zukunft der Ukraine geht. Letztlich wird die Ukraine als nichts anderes als eine Brücke angesehen, die außerhalb der NATO und der EU liegt. Eine solche Darstellung wiederum spricht dem Land das Recht ab, seinen eigenen Weg zu wählen. China zitiert häufig die Schlussakte von Helsinki aus dem Jahr 1975, wenn es sich auf den „Grundsatz der unteilbaren Sicherheit“ beruft, lässt dabei aber bequemerweise außer Acht, dass in eben jenem Dokument das Recht der Länder verankert ist, ihre Bündnisse selbst zu wählen, und dass in der damit zusammenhängenden – auch von Russland unterzeichneten – Charta von Istanbul aus dem Jahr 1999 das Recht hinzugefügt wurde, im Allgemeinen die eigenen Sicherheitsvereinbarungen zu wählen. Ganz zu schweigen davon, dass Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen das Recht der Staaten auf kollektive Selbstverteidigung garantiert. Artikel 2.4 derselben Charta umfasst die Achtung der Souveränität, Unabhängigkeit und territorialen Integrität der Staaten – die zentralen Grundsätze der chinesischen Außenpolitik. Und obwohl Russland eindeutig die Grundlage für die Stabilität unseres internationalen Systems untergräbt, verurteilt China dies nicht.
Keine Spannungen, keine Invasion
Lange Zeit stellte China die Krise selbst infrage. Bis zum 24. Februar wurden Berichte über einen drohenden Einmarsch Russlands in die Ukraine – genau wie in Russland – als „Panikmache“ und als Desinformation bezeichnet, die Washington für seine eigenen geopolitischen Zwecke forciert. Es war auch die von den USA geschürte Panik, die den Truppenaufmarsch an der Grenze verursacht haben soll. Der von den USA angeführte „Hype“, die Kriegstreiberei und die innenpolitischen Probleme wurden der scheinbaren Ruhe Chinas, seiner Hilfspolitik und seinem Streben nach Frieden gegenübergestellt.
Selbst als Russland einmarschierte, weigerten sich chinesische Staatsbedienstete, die Dinge beim Namen zu nennen, da das Wort „Invasion“ als typisch westliche Methode zur Verzerrung der Realität gilt. Von einigen sporadischen Ausnahmen abgesehen ist CGTN das einzige staatlich kontrollierte chinesische Medium, das den Begriff regelmäßig verwendet. Selbst angesichts des Massakers in Butscha haben chinesische Auslandsmedien diese Tatsache bisher entweder einfach ignoriert oder über russische Dementis und Anschuldigungen gegen die Ukraine berichtet. Die einzige Ausnahme ist wiederum CGTN, das eine umfassendere Darstellung bietet, aber dennoch keine Verurteilung vornimmt. Über offizielle chinesische Kanäle werden die USA und der Westen regelmäßig der Desinformation bezichtigt und unter anderem Behauptungen entkräftet, China habe von Russlands Plan gewusst und unterstütze den Konflikt.
So hat China als neutral erscheinender Akteur die Rolle der Vereinten Nationen propagiert und zu Verhandlungen statt zur Konfrontation aufgerufen, ohne jemals die Rolle Russlands bei der Entstehung des Konflikts infrage zu stellen. Darüber hinaus wurde in der gemeinsamen Erklärung der beiden Länder nach dem Treffen der Präsidenten Xi und Putin am Vorabend der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele klargestellt, dass China die russischen Vorschläge für Sicherheitsgarantien in Europa unterstützt und sich gegen eine Erweiterung der NATO ausspricht, wobei auch diesmal das bereits genannte Recht der Länder auf freie Wahl ihrer Bündnisse, dem auch Russland zugestimmt hat, unerwähnt bliebt.

DESINFORMATION ÜBER DEN KRIEG IN DER UKRAINE – DIE NATO UND DIE USA SIND AUFGRUND IHRER ANTI-CHINESISCHEN UND ANTI-RUSSISCHEN HALTUNG SCHULD AN DIESEM KRIEG – US-GEHEIMDIENSTE UNTERSTÜTZEN NEONAZI-GRUPPEN IN DER UKRAINE – DIE USA UND DER WESTEN VERBREITEN DESINFORMATION – DIE USA BETREIBEN UNDURCHSICHTIGE UND GEFÄHRLICHE MILITÄRISCHE BIOLABORE
Russland ist unschuldig, mögen sich die „wahren Schuldigen“ bitte zeigen
Bereits vor dem russischen Einmarsch in die Ukraine hat China einige Positionen skizziert, die jetzt in Stein gemeißelt zu sein scheinen. Vor allem aber sind die NATO und die USA an diesem Krieg schuld (ein Mythos, der in kremlfreundlichen Narrativen immer wieder auftaucht), weil sie mit ihrer anti-chinesischen und anti-russischen Haltung Russland in die Enge treiben. Später tauchten in den staatlich kontrollierten chinesischen Kanälen weitere Narrative auf, die aus der Feder des Kremls stammen: die Verschwörungsnarrative, dass die USA undurchsichtige und gefährliche militärische Biolabore betreiben (die auch von China genannt werden, um bezüglich der Herkunft von COVID-19 von sich abzulenken), und dass der US-Geheimdienst Neonazi-Gruppen in der Ukraine unterstützt. Durch die erneute Veröffentlichung von Sputnik-Artikeln haben die chinesischen Medien dem sanktionierten Medienunternehmen eine Plattform zur Verbreitung seiner Verschwörungstheorien geboten.
Diese Anti-USA- und Anti-NATO-Narrative bekräftigen die Vorstellung, dass Russland nicht der Aggressor ist. Nach dem Einmarsch Russlands hat China sein Verständnis für Russlands Sicherheitsbedenken unterstrichen und den Westen wegen seiner konfrontativen Haltung beschuldigt.
Wenn Russland einen Krieg anzettelt, hilft gute Kommunikation
Fairerweise muss erwähnt werden, dass China nicht alle russischen Desinformationsnarrative übernommen hat – es gab sogar gelegentlich Abweichungen – vor allem in Bezug auf menschliche und materielle Verluste, die der staatlich kontrollierte chinesische Fernsehsender CGTN gelegentlich „aufdecken“ konnte. Darüber hinaus hat China auf seine mehrmalige humanitäre Hilfe für die Ukraine hingewiesen, da die Situation „nicht so ist, wie China sie gerne hätte“. Einige Artikel chinesischer Akademiker in internationalen Medien könnten zudem den Eindruck erwecken, dass immerhin einige Menschen innerhalb Chinas ernsthafte wirtschaftliche Auswirkungen für China befürchten und die Gefahr einer Isolierung Chinas im Falle eines langen Krieges in der Ukraine oder einer Aufteilung der Länder in zwei gegnerische Blöcke – einen Kalten Krieg 2.0 – sehen.
Insgesamt ist die rhetorische Ausrichtung der chinesischen Staatsmedien auf den Kreml jedoch schon seit Beginn der Krise zu beobachten, und die Berichterstattung in den staatlich kontrollierten chinesischen Medien stützt sich stark (wenn auch nicht ausschließlich) auf russische Quellen. Letztlich hat China den Krieg in der Ukraine genutzt, um seine bereits bekannte Kritik an den USA und dem Westen in größerem Umfang zu verbreiten.