Read this article in EN RU IT ES FR DE PL UA RO

DIE TRICKS DES KREML: FOKUS ÄNDERN. ANDEREN DIE SCHULD GEBEN. VERANSTALTUNGEN ABSAGEN.

Dezember 15, 2022

Letzte Woche griff der Kreml wieder einmal zu einigen altbekannten Propagandatricks. Diese funktionieren aber weiterhin gut, solange man die Informationslandschaft dominiert. Der Kreml arbeitet kontinuierlich hart daran, sich im digitalen Raum eine dominante Position zu sichern – sowohl im eigenen Land als auch im Ausland. Der Schwerpunkt liegt auf der EU und dem Kosovo.

Den Fokus ändern

Wladimir Putin hat endlich anerkannt, dass der Krieg gegen die Ukraine (der immer noch euphemistisch als „Spezialoperation“ bezeichnet wird) nicht schnell enden wird, sondern ein langwieriger Konflikt ist. Diese Tatsache sollte niemanden überraschen. Putin und der Kreml haben sich in eine Ecke manövriert und rutschen gleichzeitig in einen Abgrund.

Und dieser Abgrund ist bodenlos. Putin und seine Propaganda haben der Ukraine ihr Existenzrecht abgesprochen, bezweifelt, dass es den Staat in zwei Jahren noch geben wird, die Ukrainerinnen und Ukrainer entmenschlicht und zu einem Genozid an ihnen aufgerufen, zahllose Gräueltaten der russischen Streitkräfte geleugnet oder legitimiert sowie den systematischen Versuch gestartet, die Wirtschaft, Landwirtschaft, Ressourcen und zivile Infrastruktur der Ukraine zu zerstören.

Das „verantwortungsvolle Russland“ verübt keinen Atomschlag

Um vom Rückzug der russischen Truppen auf Verteidigungspositionen abzulenken, nutzte Putin die Chance, den Fokus auf das „verantwortungsvolle Russland“ zu lenken. Er behauptete unter anderem, Russland werde keine Atomwaffen einsetzen, bevor seine Gegner es täten.

Dafür sollte die Welt Putin wohl dankbar sein, dabei handelte es sich nur um eine weitere klassische Manipulation durch Desinformation: Durch nukleares Säbelrasseln wird ein Problem geschaffen, dieses wird immer weiter aufgebauscht und über alle Kanäle verbreitet, in der Hoffnung, dass alle vor Angst zittern und darum bitten, die Spannungen abzubauen. Dann wird großzügig verkündet, dass kein Ersteinsatz von Atomwaffen geplant sei. Und schon kann man den Applaus einheimsen.

Anderen die Schuld geben und die Spannungen im Kosovo weiter anheizen

Der Kosovo wurde in den letzten Tagen zu einem weiteren Ziel der Desinformationskampagnen des Kreml. Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Belgrad und Pristina über die Autokennzeichen im Nordkosovo sind allseits bekannt und es gibt seit Langem Verhandlungen darüber.

Russland stieg am Freitag, den 9. Dezember in die Debatte ein. Der russische Botschafter in Belgrad, Alexander Botsan-Kharchenko, behauptete, der „Westen“ würde die aktuelle Krise befeuern und Pristina heimlich in seinen Bemühungen unterstützen, alle Gemeinden im Nordkosovo zu übernehmen, in denen ethnische Serben leben. Botsan-Kharchenko sagte, der Westen nutze die Krise, um den Serben und der „serbischen Welt“ Angst einzujagen.

Am 11. Dezember schrieb die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Marija Sacharowa, in ihrem Telegram-Account, dass die über das Wochenende eskalierten Spannungen vom Westen „geplant“ worden seien. Diese Kommentare waren eine Reaktion auf die Erklärung der serbischen Premierministerin Ana Brnabić, Serbien stünde wegen des kosovarischen Premierministers sowie aufgrund der „Untätigkeit“ der EU kurz vor einem Krieg.

In den letzten Tagen flutete das Umfeld des Kreml Telegram und Twitter mit Nachrichten und Videos, in denen behauptet wurde, Serbien würde mobil machen, um im Kosovo zu intervenieren. Dabei wurde auch auf angebliche Verbrechen gegen kosovarische Serben durch KFOR-Truppen und die Polizeikräfte des Kosovo verwiesen.

Das russische Staatsfernsehen schaltete auf Hochtouren. RT und seine fremdsprachigen Ableger widmeten den jüngsten Ereignissen im Kosovo große Aufmerksamkeit und verbreiteten Narrative, in denen der EU und der NATO die Schuld an den anhaltenden Spannungen gegeben und sogar behauptet wurde, dass die USA versuchten, Serbien zu einer Militäroperation zu verleiten. Sacharowa stellte außerdem eine Verbindung zwischen den Minsker Abkommen und dem Dialog zwischen Pristina und Belgrad her. Für Moskau ist das ein Déjà-vu, d. h. dem Westen und insbesondere der EU werden „falsche“ Verhandlungen vorgeworfen, mit denen nur die eigene Seite unterstützt werden solle.

Stellen Sie sich vor, es käme zu gewaltsamen Auseinandersetzungen und es könnte in einprägsamen Fernsehbildern gezeigt werden, wie „der Westen“ die Serben unterdrücke und hintergehe, wie er das immer tue …

Veranstaltungen absagen

Putins stundenlange Pressekonferenz in Moskau zum Jahresende ist in den letzten zehn Jahren zur Tradition geworden. Bei russischen Journalistinnen und Journalisten ist sie sehr beliebt. Im Lauf der Jahre kamen immer mehr Satellitenschaltungen in die entlegensten Winkel Russlands hinzu, bei denen versammelte (ausgewählte) Bürgerinnen und Bürger Putin (vorbereitete) Fragen stellten. Aber nicht in diesem Jahr.

Diese Veranstaltungen – oder eher Shows – sind ein sorgfältig inszenierter Ersatz für richtige Pressekonferenzen mit kritischen Medien, die Putin aber nicht abhält. Stattdessen sitzt er stundenlang da, zeigt ausgewählte Wirtschaftsstatistiken, gibt Bonmots zum Besten und zeigt sein Mitgefühl mit den einfachen Leuten. Einige wenige Fragen unabhängiger Medien schaffen die Illusion einer freien Presse. Vermittelt wird stets der Eindruck eines gütigen Zaren, der sein Volk liebt und sein Land beschützt.

Am 12. Dezember teilte der Kreml-Sprecher Peskow jedoch in einer kurzen Erklärung mit, dass die Veranstaltung nicht vor dem neuen Jahr stattfinden wird. Vielleicht findet Putin später während seiner Auslandsreisen Zeit für die Presse; der Austausch ist jedoch stets auf ein Minimum beschränkt. Diese Ankündigung könnte jedoch ein Zeichen dafür sein, dass er Angst hat, mit seinem Volk oder der Presse über die Wirtschaft, den Arbeitsmarkt oder die einberufenen Soldaten zu sprechen. Im Zweifelsfall lieber die Veranstaltung absagen.

Pflichtveranstaltung bis auf Weiteres verschoben

Ein weiterer öffentlicher Auftritt steht ebenfalls noch aus: die Rede des Staatsoberhaupts vor der Föderationsversammlung. Diese ist laut der russischen Verfassung verpflichtend und kann nicht einfach ausfallen. Die Föderationsversammlung und die parlamentarischen Strukturen Russlands sind ein sicherer Ort für Putin, an dem er ungehindert manipulative Aussagen und Desinformationen verbreiten kann – ganz ohne Opposition oder Kritik. Warten wir ab, ob diese Veranstaltung noch stattfinden wird.

Diese Woche auch auf dem Radar von EUvsDisinfo:

  • Moldawien bereitet sich auf einen Krieg vor und Chișinău möchte Transnistrien erobern, um eine weitere Front im Ukraine-Konflikt zu eröffnen. Nein. Auch hier versuchen kremlfreundliche Medien, die Aufmerksamkeit von Russlands Aktivitäten wegzulenken, insbesondere Moskaus Druck auf Chișinău durch höhere Preise für russisches Gas.
  • Es vergeht keine Woche ohne Angriffe auf den ukrainischen Präsidenten. Ein aktuelles Beispiel: Selenskyj versucht, die orthodoxe Kirche in der Ukraine auszulöschen. Auch dies ist falsch. Die ukrainische Regierung plant nicht, die Orthodoxie zu verbieten. Sie hat vor, die Aktivitäten des Moskauer Patriarchats [UOC-MP] in der Ukraine einzuschränken. Dieses ist eng mit Putin und staatlichen russischen Strukturen verbunden und arbeitet an der Zersetzung der Ukraine, der Unterstützung des Kriegs Russlands sowie der Rekrutierung russischer Agentinnen und Agenten. 78 % der Gläubigen in der Ukraine fühlen sich der orthodoxen Kirche zugehörig.
  • Der Westen hat in den 1930er-Jahren die Hungersnot des Holodomor verursacht. Diese von der führenden staatlichen Nachrichtenagentur Russlands, RIA Novosti, in die Welt gesetzte Behauptung ist ein absurder orwellscher Versuch, die Geschichte umzuschreiben und die Schuld des sowjetischen Staatschefs Stalin auf einen unbestimmten „Westen“ abzuwälzen. Der Artikel soll einen Keil zwischen die aktuelle ukrainische Bevölkerung, die mit den Schrecken des Holodomor bestens vertraut ist, und den Regierungen westlicher Länder treiben, die die Ukraine in ihrer Verteidigung gegen Russland unterstützen.