Große Worte, wenig dahinter

Der Tag des Sieges, der in Russland am 9. Mai gefeiert wird, ist ein besonderer Tag für die Informationsmanipulations- und Desinformationsmaschinerie des Kreml. Auf dem Papier geht es um das Ende des Zweiten Weltkriegs. Für Leute, die Informationen manipulieren und Desinformation verbreiten, darunter auch der Oberste Lügner selbst, ist der 9. Mai jedes Jahr eine gute Gelegenheit, neue Unwahrheiten aufzutischen, die Linie des Kreml zu stärken und die Desinformationsnarrative bei Bedarf neu auszurichten.
Dieses Jahr war es ähnlich wie im letzten. Das kremlnahe Desinformations-Ökosystem erkannte rasch die Zeichen in Putins glanzloser Rede auf dem Roten Platz und verbreitete wieder einmal dieselben von seinem Meister erneut bestätigten Desinformationsnarrative. Sehen wir uns einmal die Themen mit der größten Zugkraft an.
Nun doch im Krieg
Die zentrale Botschaft war von bemerkenswerter Schwermut: Es wurde wieder ein Krieg gegen Russland entfesselt. Von Beginn an war die Rede mit kremlfreundlichem Geschichtsrevisionismus und einer „Belagerungsmentalität“ überfrachtet. Kremlfreundliche Kanäle verbreiten zwar schon seit Monaten das Desinformationsnarrativ, dass Russland gegen den gesamten Westen Krieg führen muss, einschließlich der mächtigen NATO, wie sich auch schon in seinen manipulativen Reden zum Gedenken an die Leningrader Blockade und die Schlacht von Stalingrad zeigte. Aber dadurch, dass Putin seine Rede am 9. Mai mit dieser Botschaft begann, verlieh er diesem verlogenen Desinformationsnarrativ erneuten Schwung.
Kremlnahe Medien wie RIA Novosti, TASS und Iswestija verstärkten das Bild Russlands als Verteidiger „traditioneller Werte“ und einzige Kraft, die sich gegen die Sittenlosigkeit des Westens stemmt. Die Beschwörung traditioneller Werte ist eine klassische Manipulationstaktik des Kreml, ebenso wie das Sprechen über den Krieg mit religiösen Untertönen.
Putins grundlose Beschwerden, der Westen würde Erinnerungen ausradieren und das sowjetische Erbe zerstören, wurden von kremlnahen Kanälen genutzt, um das Desinformationsnarrativ über die zunehmende „Russophobie“ in Europa weiter zu verbreiten. Seltsamerweise schien den kremlfreundlichen Kommentatoren überhaupt nicht bewusst zu sein, dass Russlands Bemühungen, Zwietracht zu säen – unter anderem durch fingierte Proteste zur Diskreditierung der Ukraine – , seit Langem offensichtlich sind.
Russland, der Friedensstifter
Ein weiterer Desinformationsaspekt in Putins Rede am 9. Mai wurde von den kremlfreundlichen Desinformationskanälen ebenfalls aufgenommen, nämlich die Behauptung, für Russland gäbe es nirgendwo unfreundliche oder feindliche Menschen. Dieser Gedanke steht in starkem Kontrast zu den ständigen lautstarken Ausbrüchen, dass „westliche Eliten“ die Existenz Russlands bedrohen. Allerdings war Logik noch nie eine Stärke der kremlnahen Desinformationsverbreiter.
Ein weiteres Beispiel für diese Widersprüchlichkeit ist die Darstellung Russlands als Befreier und Friedensstifter, der nur an einer stabilen und friedlichen Zukunft für alle interessiert ist. In Kombination mit kontinuierlichen Beschuldigungen der Kriegstreiberei gegen den Westen soll dieses Narrativ ein überzeugendes Argument dafür sein, dass Russland nur Frieden möchte. Lassen Sie sich nicht täuschen. Die russischen Friedensappelle sind nichts als leere PR-Stunts, die von den täglichen Gräueltaten der russischen Angreifer in der Ukraine ablenken sollen.
Zahlen lügen nicht
Die kremlnahe Desinformationskampagne war sehr darum bemüht, Ehrfurcht zu verbreiten und das Gefühl wachsender Nervosität zu zerstreuen, aber letztendlich lügen Zahlen nicht. Die diesjährige Parade dauerte weniger lange und war kleiner. Es flogen keine Jets über die Stadt und es paradierten keine modernen Panzer über den Roten Platz. Im Gegensatz zu Teddy Roosevelts Rat, sanft zu sprechen und einen großen Knüppel zu tragen, sprachen Putin und die Verbreiter der kremlfreundlichen Desinformationskampagnen laut, weil die am 9. Mai präsentierten „Knüppel“ eher klein waren.
Insbesondere die Absage des „Unsterblichen Regiments“ nahm den einfachen Leuten die Chance, Fotos ihrer Verwandten, die Veteranen waren, zu zeigen. In früheren Jahren hatte sich der Kreml sehr darum bemüht, diesen beliebten Teil der Paraden durchzuführen. Vermutlich wurde diese Maßnahme ergriffen, um das öffentliche Zurschaustellen der vielen russischen Soldaten zu verhindern, die im Kampf gegen die Ukraine gefallen sind.
Auf die Drohnen
Ein Vorfall nur wenige Tage vor dem 9. Mai, bei dem zwei Drohnen über dem Kreml explodierten, stachelte das kremlnahe Desinformationsnetzwerk bereits an. Die Ukraine leugnet jegliche Beteiligung, aber unabhängig davon, wer hinter diesem Vorkommnis steckt, nutzten die kremlnahen Desinformationskanäle die Chance, mit Russlands Feuerwehrschlauch der Lüge absurde Theorien über die Geschehnisse zu verbreiten.
Einige ergriffen die Gelegenheit, die Zuverlässigkeit der politischen Führung in Kiew infrage zu stellen, indem sie fälschlicherweise behaupteten, Präsident Selenskyj habe aus Angst vor russischen Vergeltungsmaßnahmen die Ukraine verlassen. Andere, wie Dmitri Medwedew, der widerwärtige ehemalige Platzhalter Putins auf dem Präsidentenstuhl, gingen weiter und forderten die sofortige Eliminierung Selenskyjs. Auch das Verbreiten von Angst und Schrecken war eine beliebte Taktik. Neben eher verschleierten Drohungen mit „konkreten Vergeltungsmaßnahmen“ gab es auch ganz offenes nukleares Säbelrasseln.
Doch das verbindende Element war offensichtlich: Die Ukraine sollte als terroristischer Staat dargestellt werden, der Russland völlig ohne Grund angreift. Das ist jedoch nichts Neues. Wir haben es schon oft gehört. Aber nichts davon stimmt.
Diese verdammten Angelsachsen
Wie früher alle Straßen nach Rom führten, zeigen heute alle kremlnahen Koryphäen für Desinformation unweigerlich mit dem Finger auf die USA. Es dauerte nicht lang, bis kremlfreundliche Desinformationskanäle damit begannen, die USA zu beschuldigen, hinter dem Drohnenangriff zu stecken. Natürlich verfolgen wir seit Langem die fixe Idee des Kreml über die sogenannten Angelsachsen, die dort zu den wichtigsten Sündenböcken für alles zu zählen scheinen, was in der Welt falsch läuft. Wir haben eine interessante Sammlung kremlfreundlicher Desinformationsnarrative mit dem Motiv der „Angelsachsen“ zusammengestellt.
Diese Woche auch auf dem Radar von EUvsDisinfo:
- Auch kremlnahe Verbreiter von Desinformation mögen das gute alte nukleare Säbelrasseln. Ihre haltlosen Anschuldigungen, Rumänen würde sich auf die Stationierung von US-Atomwaffen vorbereiten, sind jedoch ebenso einfallslos wie absurd. Rumänien hat 1970 den Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen ratifiziert und diese Nichtverbreitung ist ein grundlegendes Ziel der rumänischen Außenpolitik. Darüber hinaus sind in der Atompolitik der NATO die Bestimmungen des Atomwaffensperrvertrags berücksichtigt und das Abkommen der Allianz zur nuklearen Teilhabe ist vollständig konform mit dem Vertrag über die Nichtverbreitung von Kernwaffen.
- Die kremlnahen Desinformationskanäle sind immer auf der Suche nach Möglichkeiten, ihre angeblichen Gegner zu dämonisieren. Daher waren sie auch schnell bereit, die haarsträubende Behauptung in die Welt zu setzen, Europa stehle Kinder, die aus der Ukraine evakuiert wurden. Dies ist ein klarer Fall der russischen Neigung, eigene Untaten auf andere zu projizieren und die Verantwortung Russlands für die massive Deportation ukrainischer Zivilisten, darunter auch Kinder, abzuwälzen. Europa stiehlt keine Kinder aus der Ukraine. Kinder aus der Ukraine und Familien mit Kindern erhalten in Europa Flüchtlingsstatus. Ihnen werden Unterkünfte, Hilfe und Unterstützung zur Verfügung gestellt. Sie dürfen jederzeit in die Ukraine zurückkehren. Umgekehrt wurden die Entführung und Zwangsdeportation ukrainischer Kinder aus den besetzten Gebieten nach Russland bereits durch die UNO, Human Rights Watch und Amnesty International
- Kaum etwas klingt mehr nach einem Verschwörungsnarrativ als die kremlfreundlichen Behauptungen, der Westen habe zwei Jahrzehnte lang medizinische Experimente an Ukrainern durchgeführt. Dies ist nur eine Wiederverwendung altbekannter kremlnaher Desinformationskampagnen über „geheime Biolabore“. Russlands Behauptungen bezüglich eines von den USA finanzierten Biowaffenprogramms in der Ukraine wurden mehrfach widerlegt, unter anderem durch Izumi Nakamitsu, Hohe Repräsentantin der UNO für Abrüstungsfragen, und russische Biologen, die Moskaus Beweise untersucht haben.