Modus Trollerandi Teil 1: Die Marionette

Die Demokratie wird überschwemmt: Sieben billige Tricks
Seit 2015 findet EUvsDisinfo Desinformation kremlfreundlicher Medien, dokumentiert sie und widerlegt sie. Alle Einzelfälle werden in einer großen und stetig wachsenden Datenbank gesammelt und sind dort einsehbar.
Nach mehreren Jahren der Auseinandersetzung mit kremlfreundlichen Desinformationskanälen haben sich bestimmte Muster abgezeichnet. Dabei hat EUvsDisinfo schon früher die Erzählkunst als Mittel zur Überzeugung sowie bestimmte feste Narrative erkannt; wir haben die Ängste und Phobien hinterfragt, die von Desinformationskanälen ausgenutzt werden.
Die Rhetorik der Desinformation
In einer Artikelreihe wird EUvsDisinfo ein paar der billigen rhetorischen Tricks der Desinformation aufzeigen: wie die Drahtzieher der Desinformation systematisch einen Meinungsaustausch – das Wesen der Demokratie – mit ein paar praktischen Hilfsmitteln zu Fall bringen. Die Trolle des Kremls schaffen es, dass sich der öffentliche Diskurs in einer Endlosschlaufe sinnloser Streitigkeiten verfängt. Der Begriff Modus Trollerandi wurde von einem schwedischen Aktivisten als Beschreibung der Möglichkeiten geprägt, die öffentliche Debatte durch billige Tricks zu ruinieren. EUvsDisinfo hat dieses Konzept weiterentwickelt, um aufzuzeigen, wie die Demokratie durch böswillige Manipulation wortwörtlich überschwemmt (SWAMPED) wird:
S: Spott:
Die Verwendung von Sarkasmus, um die Gegenseite herabzusetzen.
W: Whataboutism:
Ablenkung vom eigentlichen Thema.
A: Ablehnung:
Jegliche existierende Beweislage wird einfach abgelehnt.
M: Marionetten:
Ansichten oder Ideen angreifen, die so nie geäußert wurden.
P: Provokation:
Wer profitiert von Cui Bono?
E: Ermüdung:
Die Gegenseite mit Details und Formsachen zermürben.
D: Denunziation:
Aggressiver Sprachgebrauch zur Abschreckung der Gegenseite.
Was diese Mittel gemeinsam haben ist, dass sie jegliche Chance auf einen Dialog vereiteln. Meinungsverschiedenheiten gehören zum Wesen der Demokratie; eine demokratische Gesellschaft findet über Debatten, Diskussionen und Kompromisse eine gemeinsame Grundlage und einigt sich auf eine annehmbare Lösung. Die Trolle des Kremls haben kein Interesse an „mehr Hinterfragen“: Sie wollen den Diskurs kontrollieren; unsere Gedanken lenken und Meinungsverschiedenheiten ausmerzen. Sie greifen die Demokratie in ihrem Wesen an: die Idee eines respektvollen öffentlichen Dialogs.
Die billigen Tricks der Kreml-Demagogie zu erkennen, hilft uns dabei, eine Kultur der Meinungsverschiedenheit und des Hinterfragens im demokratischen Diskurs aufrechtzuerhalten. Wir können beim Thema bleiben und uns über drängende Themen austauschen, statt auf die Machenschaften der Tatsachenverdreher des Kremls hereinzufallen.
M: Die Marionette
Marionetten, häufig auch Strohmänner genannt, sind ein rhetorisches Mittel, bei dem der Troll Ansichten oder Ideen angreift, die so nicht geäußert wurden. EUvsDisinfo hat diese Methode gelegentlich in Artikeln beleuchtet : manchmal „Neoliberalismus“ als Marionette; manchmal die Andeutung ominöser Kräfte hinter Aktivismus. Der staatliche russische Sender RT hat behauptet, dass die schwedische Ökoaktivistin Greta Thunberg die „Weltbevölkerung verkleinern“ will und argumentiert lautstark gegen solch malthusianische Pläne.
Der Modus Trollerandi der Marionetten ist praktisch und wirksam. Aus der Perspektive klassischer Rhetorik ist es ein informeller Trugschluss – logisch wie faktisch falsch. Das schließt seine Wirksamkeit jedoch nicht aus, da er die Emotionen der Zielgruppe anspricht: „Wollt ihr Greta Thunberg wirklich erlauben, euch und eure Kinder zu töten, um die Reichen der Welt zu retten?“
Die EUvsDisinfo-Datenbank enthält mehrere Beispiele des Mittels der Marionetten. Die beschriebene „malthusianische Marionette“ war während der Pandemie beliebt. Gelegentlich kommen Anschuldigungen des „Satanismus“ auf, die andeuten, dass die Demokratie eine Intrige ist, um Europa von Gott, Anstand und bewährten Traditionen fortzuleiten.
Die auffälligste Marionette, die von kremlfreundlichen Medien ausgenutzt wird, sind Anschuldigungen des Nazismus/Faschismus. Jegliche Art der Kritik an der Politik des Kremls könnte als „Faschismus“ bezeichnet werden. Tatsächlichem Faschismus, beispielsweise in Italien unter Mussolini oder in Spanien unter Franco, wird derweil mit Verständnis und Sympathie begegnet. Die EUvsDisinfo-Datenbank enthält zahlreiche Beispiele, bei denen praktisch jeder als „Nazi/Faschist“ bezeichnet wird. SouthFront mit Sitz in Russland nennt die Kanzlerkandidatin der Grünen und erklärte Kremlkritikerin beispielsweise „einen amerikanischen Nazi“. Zuvor wurde die Ukraine als „Nazi“ bezeichnet, die Vereinigten Staaten sind „faschistisch“, Frankreich war ein Verbündeter Hitlers, die baltischen Staaten und Polen werden von Nazi-Sympathisanten regiert … In all diesen Fällen wurde Nazismus als Marionette eingesetzt: der Kreml kann als Bekämpfer des Faschismus agieren und dabei jegliche kritischen Bemerkungen ignorieren.
Eine weitere beliebte Marionette ist „Neoliberalismus“. Ein schwammiger, unschön klingender Begriff, der auf jegliche Art der Meinungsverschiedenheit angewendet werden kann.
Das Gegenmittel: Bleiben Sie beim Thema! Fallen Sie nicht auf den Köder rein! Bestehen Sie darauf, über das Kernthema zu reden.