OPPOSITIONSFÜHRER VOR GERICHT, WÄHREND DIE REPRESSION VERSCHÄRFT WIRD

In Weißrussland sind die Brutalität der Polizei, der Missbrauch des Gerichtssystems sowie die Manipulation und Unterdrückung des öffentlichen Raums weit verbreitet, so dass einzelne Stimmen zum Schweigen gebracht werden. Das Regime nutzt neue ‘legale’ Zwangsmittel, um eine düstere Realität noch düsterer zu machen.
Nobelpreisträger Ales Bialiatski erneut vor Gericht
Am 5. Januar 2023 begann der Prozess im politisch motivierten Fall der Menschenrechtsorganisation Viasna. Auf der Anklagebank sitzen drei Menschenrechtsverteidiger, denen jeweils 7 bis 12 Jahre Haft drohen: Der Vorsitzende von Viasna und Friedensnobelpreisträger Ales Bialiatski, sein Stellvertreter Valiantsin Stefanovic und der Koordinator der Kampagne der Menschenrechtsverteidiger für freie Wahlen, Uladzimir Labkovich. Ales Bialiatski war von 2011 bis 2014 wegen dubioser Anschuldigungen in Haft und wurde im Juli 2021 erneut inhaftiert.
Alle werden als gefährliche Kriminelle behandelt, um die Einschüchterung zu maximieren. Sie befinden sich in Käfigen und sind mit Handschellen gefesselt, und zwei Polizeieinheiten kontrollieren jeden, der das Gericht betritt. Ein Richter lehnte den Antrag der Angeklagten ab, den Prozess in ihrer belarussischen Muttersprache zu führen.
Es ist überflüssig zu erwähnen, dass Bialiatski nicht an der Verleihung des Friedensnobelpreises am 10. Dezember 2022 in Oslo teilnehmen durfte.
In einem Propagandabericht des staatlichen belarussischen Fernsehsenders 1 TV wurde kein einziges Wort über die internationale Anerkennung verloren, die Bialiatski und seine Mitarbeiter erhalten haben. Stattdessen wurde ihr Status als Menschenrechtsaktivisten in Frage gestellt und sie wurden dargestellt als ‘von der EU unterstützte Kriminelle, die Geld zur Unterstützung der destruktiven Opposition‘ in Belarus schmuggelten. Ein neuer Tiefpunkt in der hochgradig manipulierten Informationssphäre in Belarus.
Mehr politische Gefangene, ‘Extremisten’ und ‘Terroristen’
Die Zahl der politischen Gefangenen in Belarus beträgt am 31. Januar 2023 mindestens 1.441. Wir haben über diesen Trend hier bei EUvsDisinfo berichtet. Die tatsächliche Zahl der politischen Gefangenen könnte viel höher sein, da es aufgrund der zunehmenden Geheimhaltung von Prozessen immer schwieriger wird, Fälle von politisch motivierter Verfolgung zu überwachen. Darüber hinaus hört die Unterdrückung nicht auf, wenn die Menschen freigelassen werden. Auch nach der Entlassung aus dem Gefängnis oder dem Polizeigewahrsam bleiben die Menschen im Visier des belarussischen Staates.
Die Maschinerie der Unterdrückung mahlt weiter und jede Woche kommen neue Personen in das Register. Seit der Präsidentschaftswahlkampf 2020 in Belarus mit der Bekanntgabe gefälschter Ergebnisse durch den Staat endete, haben Menschenrechtsaktivisten mehr als 2.500 Verurteilungen und die laufende Verfolgung von mindestens 3.500 weiteren Personen in politisch motivierten Strafverfahren dokumentiert.
Der Menschenrechtsbericht von Viasna vom Dezember 2022 legt offen, dass die ‘groß angelegte und systematische Verfolgung von Dissidenten‘ weitergeht. Der Bericht dokumentiert die fortgesetzte Anwendung von Folter und anderer verbotener Behandlung bei politisch motivierten strafrechtlichen Ermittlungen. Er dokumentiert auch die routinemäßige staatliche Verfolgung von Protesten gegen den Wahlbetrug des Regimes, alles unter dem Deckmantel der Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus.
Die vom Innenministerium geführte außergerichtliche ‘Extremisten’-Liste umfasst derzeit mehr als 2.300 Personen, darunter ein Dutzend Journalisten. Allein im Monat Dezember wurden über 200 Namen hinzugefügt. Auf der ‘Terroristenliste’, die der belarussische KGB überwacht, stehen inzwischen fast 250 Belarussen sowie mehrere belarussische Gruppen und Organisationen.
Das Regime etikettiert Organisationen, Medien, Bücher und andere Materialien als ‘extremistisch‘ und ‘terroristisch‘ Vor kurzem wurde die beliebte belarussische Rockband Tor Band als „extremistische Gruppe“ bezeichnet. Die Musiker und ihre Ehepartner wurden im Oktober 2022 verhaftet und stehen wegen ihrer prodemokratischen Lieder unter Anklage.
Die Praxis der Aufzeichnung von ‘Reue-/Geständnisvideos’, in denen Häftlinge Handlungen gestehen, die die Behörden als Straftaten ansehen, wurde ebenfalls fortgesetzt. Die Videos werden dann im Internet verbreitet oder von staatlichen Fernsehsendern verwendet, um Menschen zu verleumden und Angst zu verbreiten. Laut dem Menschenrechtsbericht von Viasna wurden allein im Dezember mindestens 52 Menschen Opfer dieser ungeheuerlichen Praxis.
Triff´ die Familie – Familien politischer Gefangener werden angegriffen
Die Repression in Weißrussland ist in letzter Zeit noch hässlicher geworden, wie die Tragödie der Familie Losik zeigt. Am 19. Januar 2023 wurde Darya Losik, die Ehefrau des politischen Gefangenen und Bloggers Ihar Losik, wegen ‘Beihilfe zum Extremismus‘ zu zwei Jahren Haft verurteilt.
Mit diesem zweifelhaften Vorwurf haben die Regimebehörden das Interview von Darya Losik mit dem polnischen Sender Belsat TV über ihren inhaftierten Ehemann Ihar Losik beschrieben. Sie ‘positionierte sich als Ehefrau eines politischen Gefangenen und äußerte sich auch negativ über die staatlichen Organe, die für die Strafverfolgung und die Justiz zuständig sind‘, heißt es in den Prozessakten.
Zu dieser Zeit setzte sich Losik international für die Freilassung ihres Mannes ein, der zuvor wegen politisch motivierter Anschuldigungen zu 15 Jahren Haft verurteilt worden war. Einzelheiten finden Sie in unserem Artikel hier. Die 4-jährige Tochter der Familie Losik muss vorerst ohne ihre Eltern auskommen.
Mit diesem Fall sandte das belarussische Regime ein einschüchterndes Signal an die Familien anderer politischer Gefangener, es nicht zu wagen, die Rechtmäßigkeit ihrer Fälle öffentlich in Frage zu stellen oder Kritik zu äußern.
Weitere Fälle in Abwesenheit
In letzter Zeit hat das belarussische Regime mit der Praxis von ‘Abwesenheitsprozessen’ begonnen, bei denen Strafverfahren ohne die Angeklagten verhandelt werden. Am 18. Januar wurden die ersten Urteile in Abwesenheit gegen fünf Personen gesprochen, die angeklagt waren, Daten über Sicherheitsbeamte, die an Repressionen beteiligt waren, veröffentlicht zu haben. Jeder der fünf abwesenden Angeklagten wurde zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Diese Prozesse veranschaulichen auch einen neuen Trend: nicht nur die Verhängung von Haftstrafen, sondern auch die Beschlagnahme von Eigentum.
Ein weiterer Prozess in Abwesenheit begann am 17. Januar. Dazu gehören die pro-demokratische Anführerin Sviatlana Tsikhanouskaya, der Oppositionspolitiker Pavel Latushka und drei weitere Aktivisten.
Drei ‘kreative’ rechtliche Neuerungen
Entzug der Staatsbürgerschaft
In den letzten zwei Monaten hat das belarussische Regime weitere unheilvolle, aber angeblich legale Methoden angewandt.
Erstens hat das Regime Gesetzesänderungen verabschiedet, die den Entzug der belarussischen Staatsbürgerschaft von ‘Extremisten‘ betreffen. Strafrechtliche Vorwürfe wie ‘Vorbereitung von Massenunruhen’ oder ‘Verleumdung des Präsidenten’ könnten diese Maßnahme rechtfertigen. Daher laufen viele Oppositionelle im Exil, darunter Aktivisten und Journalisten, Gefahr, dass ihnen in den nächsten Monaten die belarussische Staatsbürgerschaft entzogen wird. Solche Maßnahmen wecken Erinnerungen an die UdSSR, die unerwünschte Bürger verbannte und ihnen die Staatsbürgerschaft entzog.
Beschlagnahme von Eigentum
Zweitens regelt ein neu verabschiedetes Gesetz die Beschlagnahme von Eigentum ‘aus Gründen der öffentlichen Notwendigkeit’. Das Gesetz definiert die Personen, die Gefahr laufen, dass ihr Eigentum beschlagnahmt wird, absichtlich vage. Er spricht nur von ‘unfreundlichen Handlungen’ fremder Länder und zielt auf Menschen ab, die irgendwie an solchen Handlungen beteiligt sind. Nach Ansicht von Rechtsexperten könnte praktisch jede Person oder jedes Unternehmen von dieser vage formulierten Verordnung betroffen sein.
Ausweitung der Anwendung der Todesstrafe
Drittens hat der Staat die Gründe für die Verhängung der Todesstrafe um den Tatbestand des ‘Staatsverrats’ erweitert, wenn dieser von einem Regierungsbeamten oder einem Mitglied der Streitkräfte begangen wird.
Dieser Schritt könnte ein Versuch sein, den Staatsapparat und die Streitkräfte einzuschüchtern, zu einer Zeit, in der Ungewissheit über die künftige Beteiligung belarussischer Armeeeinheiten am Krieg Russlands gegen die Ukraine herrscht.
Weiteres Material über Desinformation gegen das demokratische Belarus können Sie hier ansehen.