Read this article in EN RU IT ES FR DE PL UA RO

Russland setzt die Republik Moldau psychisch unter Druck

März 03, 2023

Obwohl Russlands Streitkräfte gänzlich mit der Invasion in der Ukraine beschäftigt sind, übt der Kreml immer noch mithilfe psychologischer Kriegsführung Druck auf die Republik Moldau aus. In den letzten Wochen eskalierten Moskaus manipulative Tatsachenverdrehungen, darunter die Behauptungen, dass die Ukraine Transnistrien angreifen wolle, dass Maia Sandu sich mit Kiew verschwöre und dass natürlich die dunklen Mächte der USA und des Westens Chișinău in einen Konflikt drängen würden.

Das riecht nach einem weiteren Versuch Russlands zur psychologischen Kriegsführung gegen seine Nachbarländer. Mögliche Ziele sind das Schüren von Instabilität, sofern möglich, und das Lenken der Aufmerksamkeit weg vom Schlachtfeld in der Ukraine, den Gräueltaten gegen die Zivilbevölkerung und deren Deportation. Die Anschuldigungen des Kreml kommen pünktlich zu den Maßnahmen der moldauischen Regierung, die Kontrolle über ihren Informationsraum wiederzuerlangen. Mehr dazu ist unserem Artikel hier zu entnehmen.

Das Kreml-Handbuch

Russische Staatskanäle sowie kremlfreundliche Kanäle und Vertretungen erhöhten den Druck auf die Republik Moldau, wozu sie nahezu alle Methoden aus ihrem Handbuch für klassische Informationsmanipulation einsetzen. Dazu gehören:

  • Falsifizierung: Fälschung eines Briefs, der angeblich von den ukrainischen Streitkräften stammt und Teileinheiten befiehlt, sich auf eine drohende Invasion von Transnistrien durch die Ukraine vorzubereiten.
  • Flutung des Informationsraums: Verbreitung von Nachrichten über so viele Plattformen wie möglich, mit Staatskanälen als Leuchtfeuern. Das erste Ziel sind Zielgruppen in der Republik Moldau, wozu Kanäle, die bekanntermaßen mit russischen Narrativen arbeiten, und später auch russische Staatsmedien, genutzt werden.
  • Verdrehung und Falschdarstellung: Veränderung eines inländischen politischen Machtwechsels und öffentlicher Demonstrationen durch die kremlfreundliche Opposition zur Angleichung an das Narrativ: Die Republik Moldau versinkt im Chaos, eine Marionette des Westens, eine von ihrer Regierung getäuschte Bevölkerung.
  • Einsatz eines politischen Partners: Profilierte Propagandatreibende wie Wladimir Solowjow geben dem ehemaligen Präsidenten Igor Dodon eine Plattform, um Öl ins Feuer zu gießen.
  • Zuletzt ein klassisches machtpolitisches Sahnehäubchen durch Unterdrucksetzen der legitimen moldauischen Präsidentin Maia Sandu mithilfe einer kaum verschleierten russischen Drohung: Ändern Sie Ihren euro-atlantischen Kurs, sonst …

Diese als „Nachrichten“ getarnte Desinformation hat die Hauptplattformen der russischsprachigen Welt und weitere erreicht, darunter arabische, spanische, italienische, georgische und armenische Zielgruppen, die von kremlfreundlichen Quellen ins Visier genommen werden. Das Flaggschiff, der russische Staatsfernsehsender Channel One, sendete dies am 26. Feb.:

Richtigstellung der Tatsachen – keine ukrainische Invasion

Moldauische Regierungsbehörden reagierten auf all diese Behauptungen, indem sie Manipulationen des russischen Verteidigungsministeriums verneinten und betonten, dass sie in ständigem Kontakt mit ihren Partnern, darunter Kiew, stehen und die Bevölkerung sofort über jeden Notfall informieren würden. Der Staatssekretär des moldauischen Verteidigungsministeriums bezeichnete Russlands Handlungen als „Element einer psychologischen Operation“ in Russlands Krieg gegen die Ukraine.

Mykhailo Podolyak, Berater des ukrainischen Präsidenten Selenskyj, drängte die Menschen, dem russischen Verteidigungsministerium nicht zu glauben. Laut seiner Aussage würde die Ukraine nie Schritte bezüglich der Republik Moldau einleiten, ohne sich direkt mit Chișinău und den Ländern der europäischen Union zu beraten.

Erstellung einer wüsten Behauptung. Dann deren Wiederholung. Wiederholung. Wiederholung.

Valeriu Pasha, Direktor der moldauischen Denkfabrik Watchdog.md, ist überzeugt, dass die neuen Handlungen klassische Desinformation sind, da sie alle wenige Tage zuvor von einem angeblich ukrainischen Telegram-Kanal aus verbreitet wurden.

Am 21. Februarschrieb der Kanal, dass „fast 260 ukrainische Soldaten zum transnistrischen Bereich der ukrainischen Grenze gebracht wurden“ und dass das angebliche Ziel war, die Region nahe des Dorfs Cobasna anzugreifen. Dort befindet sich ein großes Munitionslager aus der Zeit, als Sowjettruppen in Transnistrien stationiert waren. Der Beitrag verzeichnet über 140 000 Aufrufe.

Ein weiterer Telegram-Kanal namens Typical Odessa teilte den ersten Beitrag undfügte die Behauptung hinzu, dass „Militärpersonal der NATO involviert sei“.

Beide Beiträge und die Veröffentlichung des russischen Verteidigungsministeriums passen gut mit dem inzwischen klassischen Moskauer Desinformations-Narrativ zusammen, laut dem der Westen versucht, die Republik Moldau in den Krieg hineinzuziehen (siehe hier, hier und hier).

So funktioniert die russische Manipulationsmaschinerie

Am Morgen des 23. Februars (in Russland der „Tag des Verteidigers des Vaterlandes“, in der UdSSR der „Tag der Sowjetarmee“) behauptete das russische Verteidigungsministerium, dass die Ukraine Provokationen in der Region Transnistrien vorbereite. Die offizielle Pressemeldung, die von russischen Staatskanälen und kremlfreundlichen Kanälen (u. a. TASS, Vedomostri.ru, RIA, Interfax) weit verbreitet wurde, veröffentliche viele Details zu den angeblichen Plänen, darunter, dass ukrainische Streitkräfte mit russischen Militäruniformen einen Angriff auf die Ukraine simulierten.

Einige Websites und Telegram-Kanäle wiederholten diese Informationen und brachten noch mehr Behauptungen hervor. So behauptete z. B. Segodnia.ru, ukrainische Streitkräfte befänden sich bereits an der Grenze und sammelten Artillerie an, und das Hauptziel der Operation sei, das Munitionslager in Cobasna einzunehmen.

Das Material wurde von kremlfreundlichen Quellen in der Republik Moldau unterstützt, darunter die Kanäle Komsomolskaya Pravda Moldova (kp.md), Sputniks TG und Smuglianka TG. Moskau wohlgesonnene Politiker schlossen sich an, insbesondere der ehemalige Präsident Igor Dodon, der behauptete, Kiew könnte planen, Transnistrien anzugreifen. Er schrieb auf seiner Facebook-Seite, dass die Republik Moldau den Transnistrienkonflikt selbst lösen werde – friedlich, und nicht, wie angeblich die Ukraine, „mit Gewalt“.

Zudem schrieb Bogdan Țîrdea von der Partei der Sozialisten der Republik Moldau in seinem Telegram-Kanal, dass Behörden von Chișinău „dem ukrainischen Szenario folgten“ und behauptete so, die Republik Moldau würde in den Krieg hineingezogen. Die Partei der Sozialisten veröffentlichte eine offizielle Erklärung mit der Forderung von „Friedensgarantien“ für die Republik Moldau, womit Moskaus Behauptungen Glauben geschenkt wurde.

Am 24. Februar veröffentlichte das russische Außenministerium eine Erklärung mit der Warnung, dass jeder Angriff auf das russische Militär in Transnistrien als Angriff auf Russland betrachtet werden würde.

Führungskräfte in Tiraspol sagten, dass „sie bereit für jedwede Provokation sind“ und sie im Falle einer Gefahr die Bevölkerung im Voraus warnen würden.

Am Sonntag, den 26. Februar, behauptete ein Beitrag auf dem Telegram-Kanal @novorossia_region, dass die Ukraine einen Angriff auf Transnistrien vorbereite. Er enthielt als Beweis ein Bild eines angeblichen Dokuments der ukrainischen Armee. Der Telegram-Kanal, der 2021 erstellt wurde, veröffentlicht regelmäßig russische Narrative, insbesondere bezüglich des Oblast Cherson.

Beitrag und Bild wurden innerhalb von 50 Minuten von News Fronts Telegram-Kanälen @newsfrontnotes und @golosmodora weiterverbreitet. Nach einer Stunde wurde eine Nachricht mit demselben Bild und dem Wasserzeichen von Readovkas Logo auf dem Telegram-Kanal @readovka veröffentlicht und innerhalb zehn Minuten von @bloknotmd weiterverteilt, wodurch sie in kürzester Zeit über 600 000-mal aufgerufen wurde.

Zehn Minuten später veröffentlichte Vladimir Rogovs @vrogov Telegram-Kanal einen weiteren Beitrag mit demselben Bild, aber dem Wasserzeichen seines eigenen Kanallogos. Rogov ist eine Moskauer Marionette und der sogenannte Vertreter des Hauptrates der selbsternannten militärisch-zivilen Verwaltung der Region Saporischschja. Gleichzeitig veröffentlichte der Account @izvestia_ru einen Tweet mit einem Link zu einem Artikel der großen russischen Tageszeitung Iswestija. Der Tweet zitiert auch die Telegram-Nachricht von @vrogov und enthielt ein Bild des Dokuments.

Der Beitrag verbreitete sich über moldauische und russische Informationsräume noch weiter. Innerhalb einer Stunde wurde ein Artikel mit dem Bild auf der Website News Front veröffentlicht. Drei Stunden später veröffentlichte der Telegram-Kanal @KpMoldova das Bild ebenfalls. Innerhalb von fünf Stunden wurden einige Artikel ohne das Dokument, dafür mit einem Zitat von @vrogov als Quelle auf Ukraina.ru, der russischen Regierungszeitung rg.ru, der russischen StaatsnachrichtenplattformRT (Russia Today), der russischen Staatspresseagentur RIAund gazeta.ru veröffentlicht.

Am Sonntagabend des 26. Februars wurde die Geschichte vom russischen Staatsfernsehen in den Abendnachrichten von Channel One aufgegriffen und verstärkt (siehe Screenshots oben). Wie wir bereits analysierten, erreichte dieses Desinformationsvehikel allein rund 100 Millionen Russischsprachige und wurde auf vielen anderen Plattformen zitiert.

1. März: Wladimir Solowjow, einer der prominentesten Kreml-Propagandisten und Moderator von russischen Staatsplattformen und TV-Programmen behauptet, dass „die Ukraine einen Angriff plant“, wobei er sich auf den Telegram-Account des ehemaligen moldauischen Präsidenten Igor Dodon bezieht. Am 1. März sprang die Anzahl der Aufrufe von Solowjows Telegram-Beitrag von 80 000 auf über 240 000.

All diese Plattformen sind „Venen“ zur Verbreitung von Desinformation. Ihre Materialien werden exponentiell zitiert und reproduziert, erreichen Millionen Menschen und legen die Agenda für die Diskussion fest.

Deckmantel für einen russischen Plan, eine Revolte in der Republik Moldau zu provozieren

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bestätigte Anfang Februar, dass der ukrainische Geheimdienst einen russischen Plan zur Destabilisierung der politischen Situation in der Republik Moldau abhörte. Wenige Tage später hielt die moldauische Präsidentin Maia Sandu eine offizielle Lagebesprechung ab und bestätigte, dass Kiew Informationen zu dem angeblichen russischen Plan geliefert hat. Sie wies auch die Strafverfolgungsbehörden an, wachsam zu bleiben.

Laut Sandu hätte die russische Operation im Schatten großangelegter, regierungsfeindlicher Proteste durchgeführt werden sollen, die von der kremlfreundlichen Opposition organisiert werden. Gewalt gegen staatliche Institutionen war Teil des Plans, mit der Hilfe von Provokateuren aus Montenegro, Serbien und Belarus.

Am 21. Februar sprach der neuernannte moldauische Premierminister Dorin Recean über Moskaus Pläne, den Lufthafen von Chișinău zu übernehmen. Das angebliche Ziel sei, Truppen und Munition nach Transnistrien zu transportieren, um eine neue Front in der Flanke der Ukraine, der südwestlichen Region, die Odessa und Mykolajiw umfasst, zu öffnen. Bei Erfolg würden Streitkräfte festgesetzt, die Kiew dringend an anderen Fronten benötige. Siehe hier und hier.

In all diesen Fällen leugnete Russland jegliche Beteiligung und behauptete, dass die Ukraine Operationen unter falscher Flagge gegen Transnistrien durchführe.

Der Angstfaktor – doch niemand ist alleine

Unabhängig vom Ergebnis zeigen Moskaus Aktivitäten in den letzten Monaten die Verwendung hybrider Instrumente: wirtschaftlicher Druck durch Gasexporte, der Einsatz russischer Truppen in Transnistrien für lokales Säbelgerassel, Zusammenarbeit mit lokalen politischen Akteuren und Verbreitung von Lügen und haltlosen Gerüchten.

All dies geschieht auf solch offensichtliche Weise, dass der Plan leicht aufgedeckt wird. Doch Moskau scheint es nicht zu kümmern, als skrupelloser Drangsalierer betrachtet zu werden, solange dieses Bild für Angst unter den Nachbarländern sorgt.

Die Ukraine hat sich dem brutalen Druck Moskaus nicht gebeugt. Die Republik Moldau prangert Moskaus Methoden laut und deutlich an. Zuvor hatte auch Montenegro dies schon getan und ähnlich finstere Pläne aufgedeckt. Wenn eine Botschaft hervorsticht, dann diese: Schlagt Alarm, wenn ein Drangsalierer einen Angriff plant. Niemand ist auf sich allein gestellt.